Viele Menschen werden gewaltsam entblößt oder bloßgestellt. Am eindrucksvollsten ist das in der 10. Kreuzwegstation "Jesus wird seiner Kleider beraubt" dargestellt. Ein zweites Bild kommt im Jahr des Gedenkens an 70 Jahre Kriegsende in den Blick: Am 6. Mai 1945 wird das Grauen des Naziregimes bei der Befreiung von Mauthausen sichtbar. Auch hier wurden Menschen ihrer Kleider, ihrer Würde und letztlich ihres Lebens beraubt.
Demgegenüber steht das "Sich entblößen" als eine freie Entscheidung von Menschen, die sich annehmen wollen, wie sie sind, wie Gott sie geschaffen hat.
In der Kirche ist "Nacktsein" eine Tradition, viele Heilige werden nackt, entblößt gezeigt, viele Martyrien, die dargestellt werden, zeigen eine eigene Art von Voyeurismus, wenn abgetrennte Körperteile dargestellt werden, etwa bei der Hl. Agatha von Catania, der die Brüste abgeschnitten wurden. In der Volksfrömmigkeit hat sich ein Brauchtum entwickelt, das dieses Martyrium in Erinnerung hält, so wird beispielsweise Agathenbrot in Form kleiner Brüste gebacken, das am 5. Februar oder an dessen Vorabend gesegnet wird, es schütze vor Fieber und Krankheiten der Brust und helfe gegen Heimweh, das ja oft wie Feuer brennt.
Die Kirche setzt sich für die Würde des Menschen ein und stellt sich gegen das einfache "zur Schau stellen". Auch daher hat sich in den letzten Jahrhunderten der Vorwurf entwickelt und gehalten, die Kirche sei leibfeindlich. Viele Menschen bewundern Bilder der Maria lactans, der stillenden Gottesmutter Maria, die Jesus die Brust gibt. In unserer aufgeklärten Gesellschaft aber wird diskutiert, ob eine Mutter in der Öffentlichkeit ihr Baby stillen darf.
Was bedeutet Nacktheit, wie sie in der Bibel im Buch Genesis geschildert wird, heute? Was bedeutet sie in der Kunst, warum ist es wichtig, sich selbst, seinen Körper mit all den schönen aber auch den nicht so schönen Seiten anzunehmen?
"Der Botschafter des Menschseins" (© NÖN) Karl Schnell, der sein Atelier im Haus der Pfarre Altsimmering hat, beschäftigt sich in seinen Bildern mit Menschen, die unterschiedliche Stimmungen des Lebens darstellen: Dabei geht es um Bilder des Lebens, Entscheidungen, Kreuzungspunkte des Lebens, Sorgen, Nöte und Krankheit und vom frei sein wollen. In den Bildern Karl Schnells wird die Entscheidung des "bloßstellens" in neuer Weise vor Augen geführt, weil Körper, Geist und Seele zusammenspielen.
In der Langen Nacht der Kirchen wird Karl Schnell um 19.00 Uhr nach der Eröffnung der Ausstellung durch seine Bilder führen. Um 19.30 Uhr treten Karl Schnell und der Moraltheologe Gunter Prüller-Jagenteufel in ein Gespräch ein, das dem Thema "Kirche und Leiblichkeit – ein Dissens? gewidmet ist.
Lange Nacht der Kirchen, Freitag, 29. Mai 2015
19.00 Uhr, Führung
19.30 Uhr: Künstlergespräch: Karl Schnell mit Gunter Prüller-Jagenteufel, Moraltheologe der Universität Wien
Die Ausstellung von Karl Schnell ist nach der Langen Nacht auch am Samstag, 30.5., von 17-20 Uhr und am Sonntag, 31.5., von 9-12 Uhr zu besichtigen.
Karl Schnell
Am 21. Oktober 1950 in Wien geboren besuchte er nach der Lehre als Dreher
1986 erstmals an einer internationalen Ausstellung beteiligt: als Vertreter der Wiener Kunstschule bei der "XXIXe Salon Annuel Internatioal" in Lyon.
Seit 1988 hat Karl Schnell eigene Ausstellungen in Wien, Oberösterreich und Niederösterreich.
Karl Schnell beschäftigt sich mit verschiedenen Bewusstseinszuständen des Menschen, in denen das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele seinen Ausdruck findet.
Prof. Dr. Gunter Prüller-Jagenteufel
Geboren 1964 in Wien. Nach dem Studium der katholischen Theologie und der Mathematik in Wien folgte das Unterrichtspraktikum für das Lehramt an höheren Schulen 1991-2003 Assistent am Institut für Moraltheologie der Universität Wien. 1997: Promotion, Dissertationsthema: Solidarität - eine Option für die Opfer. Januar/Februar 1998: Gastprofessor für christliche Sozialethik am Inter-Congregational Theological Center in Manila. 1998-2003: Vorsitzender der Kommission "Theologische Fakultäten" der Bundeskonferenz des künstlerischen und wissenschaftlichen Personals. 2003: Habilitation im Fach Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg. Habilitationsthema: Der Mensch im Spannungsfeld von 'iustus' und 'peccator' in der Ethik Dietrich Bonhoeffers . 2003-2004: Privatdozent für Moraltheologie an der Universität Regensburg. Seit 2003: Ao. Universitätsprofessor für Moraltheologie an der Universität Wien.