„Die islamische Sicht von Barmherzigkeit deckt sich 99 Prozent mit der christlichen Interpretation“, betonte Khalid El Abdaoui beim Bildungswerkabend in der Pfarre Altsimmering am Donnerstag, 19. Jänner 2017. Abdaoui und Nicolae Dura, Bischofsvikar der rumänisch-orthodoxen Kirche, waren eingeladen, das Thema Barmherzigkeit als Brücke zwischen den Religionen zu diskutieren. Initiatorin des Abends war Christiana Riedl, die Bildungswerkleiterin der Pfarre Altsimmering.
Barmherzigkeit als Eigenschaft Gottes war eine große Grundgemeinsamkeit zwischen Christentum und Islam, betonten beide Referenten des Abends. „Barmherzigkeit aus orthodoxer Sicht soll auf den Menschen übertragen werden, der Mensch sollte so sein wie Gott, da er ja als Ebenbild Gottes erschaffen wurde“, so Dura. Mit vielen Bibelzitaten, die er aus der neuen Einheitsübersetzung vorlas, untermauerte Dura seine Ausführungen. Dabei sei besonders eine Interpretation des Alten Testaments der orthodoxen Kirchenväter wichtig, um die Dimension der Barmherzigkeit zu verstehen: „Der mögliche Zorn Gottes wird besiegt durch seine Barmherzigkeit, die auch übersetzt wird mit grenzenloser Geduld“, betonte Dura. Als Beispielgeschichte für die Brücke zwischen den Religionen verwendete Dura die biblische Erzählung vom barmherzigen Samariter, „denn dieses barmherzige Handeln war geprägt durch die Haltung eines Anhängers einer anderen Religion, der im Judentum damals als Mensch zweiter Klasse gesehen wurde“, so der orthodoxe Theologe. Und, um die Frage nach etwaigen Grenzen der Barmherzigkeit gleich zu klären, betonte Dura, dass diese nicht festzuschreiben seien: „Barmherzigkeit ist ein Anspruch an jeden einzelnen Menschen“.
„Allah hat sich selbst der Barmherzigkeit verpflichtet“, so führte Khalid El Abdaoui, der islamische Theologe ein. So sei „der Allbarmherzige“ einer der 99 Namen für Allah, wie Gott in der arabischen Sprache heißt. Diese 99 Namen seien Wesens- und Tatattribute und die Barmherzigkeit ist ein Wesensattribut, also untrennbar mit Gott verbunden. So sei auch die Aussage von Gott im Koran zu begreifen: „Die Barmherzigkeit ist schneller als mein Zorn.“ Die Rede von der Barmherzigkeit sei in der Geschichte nicht als wichtig erachtet worden und heute sei es aufgrund der Ereignisse wie Krieg und Terror, die im Namen des Islam begangen werden, schwer vom Islam als einer barmherzigen Religion zu sprechen. Aber auch die islamische Theologie entwickelt sich. In Österreich sei diese im Entstehen, „weil das Islamgesetz von 1915 reformiert wurde. Die Imame müssen in Österreich ausgebildet werden, dazu wurde auch eine islamische Fakultät an der Universität eingerichtet. Diese werden von Männern und Frauen absolviert. In meinem Jahrgang gab es drei Männer und drei Frauen“, so Abdaoui. Wichtig sei in den kommenden Jahren, „dass die Rede vom Koran über die Barmherzigkeit in die Tat umgesetzt wird“, betonte Abdaoui in Altsimmering: „Dazu ist es wichtig diese Veranstaltungen zum Gespräch zu haben, denn ein Molsem will genau wie ein Christ in Frieden leben, arbeiten und sich an der Familie freuen“.
In der an die Kurzpräsentationen anschließenden Diskussion mit den mehr als 40 TeilnehmerInnen an der Bildungsveranstaltung in der Pfarre Altsimmering wurden dann viele Fragen aufgeworfen und beantwortet. Grundtenor der Diskussion war das Interesse am jeweils anderen, wie es Dura sagte: „Wir brauchen die Pluralität, die ein Mosaik von Einzelmomenten ist. Nur zusammen ergeben sie ein großes und schönes Bild.“
Abschließend plädierten beide Referenten, dass das Gespräch auf Augenhöhe wichtig sei, lobten die Initiative der Pfarre Altsimmering und regten weitere Diskussionen über Themen an, um die jeweils andere Sichtweisen kennen zu lernen, ohne einander mit Vorwürfen zu konfrontieren.