Wenige Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt gedachten Juden, Christen und Muslime mit einer kurzen Friedensbotschaft an die Nacht vom 9. auf 10. November 1938, wie im Online-Bezirksblatt von Christian Buchar berichtet wurde. Damals wurden jüdische Einrichtungen von den Nationalsozialisten zerstört, in Brand gesteckt und die jüdische Bevölkerung Wiens verfolgt und ermordet. Auch die Simmeringer Synagoge in der Braunhubergase wurde zerstört. Beim Mahnmahl an der Ecke Braunhubergasse/Hugogasse, das aus Mauthausener und schwedischem Granit errichtet wurde, gedachten auf Initiative der evangelischen Pfarrerin Anna Kampl die Vertreter der Katholischen, der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, des Judentum, des Islam, der Altkatholischen Kirche, der Aleviten und der Evangelische Kirche. Jede Religionsgemeinschaft hinterließ durch eineN VertreterIn eine Kerze, eine weiße Rose und eine Botschaft des Friedens zum Zeichen des Erinnerns.
Das Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen hat in Simmering eine gute Tradition. Ein äußeres Zeichen dieses friedlichen Zusammenlebens ist das in der "Langen Nacht der Kirchen 2017" als „Baum der Hoffnung“ im Pfarrgarten am Simmeringer Platz gepflanztes Rosenbäumchen.
Pfarrer Christian Maresch, Katholische Kirche:
„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Ja, dieser Satz aus dem Matthäusevangelium schenkt uns Hoffnung auch in unsicheren Zeiten, Zeiten der Gegenwart oder auch Zeiten in der Vergangenheit. Gemeinschaft untereinander und die Hoffnung auf Gottes Beistand - beides ist in Krisen unverzichtbar. Wir sind eine Gemeinschaft und jeder oder jede von uns kann dazu beitragen, dass diese Gemeinschaft einen Weg der Toleranz, gegenseitigen Rücksichtnahme und Solidarität einschlägt. Und bei diesem – oft mühsamen Weg – dürfen wir Christinnen und Christen immer auf Gottes Beistand verstrauen. In dieser Zuversicht schauen wir auf die Vergangenheit, die wir nie vergessen dürfen, und versuchen daraus für unsere Zukunft zu lernen.
„Solidarisch füreinander Sorge tragen“
In der jüdischen Tradition gibt es eine Geschichte: Das Volk Israel gleicht einem Schiff. Wenn sich im unteren Laderaum ein Loch befindet, sagt man nicht: "Nur der untere Laderaum hat ein Loch." Vielmehr muss man sofort erkennen, dass das ganze Schiff sinken könnte und dass das Loch unten repariert werden muss. (Tanna debej Elijahu Rabba 11)
Heute sitzen wir als Menschheit in diesem Schiff. Wir erkennen die Löcher, die es hat, und müssen erkennen, dass wir alle gemeinsam daran arbeiten müssen, die Löcher zu reparieren. Wir müssen erkennen, dass wir alle füreinander Verantwortung tragen. Wir müssen nicht in allem miteinander übereinstimmen, aber müssen solidarisch füreinander Sorge tragen.
Lior Bar-Ami, Rabbi bei der Jüdischen Liberalen Gemeinde Wien - Or Chadasch
„Erleichterung werden wir nur gemeinsam finden“
Die vergangenen Tage waren geprägt von Leid, Schrecken und Ohnmacht. Als Gesellschaft stehen wir vor einer herausfordernden Zeit, deren Verarbeitung für jede*n von uns unterschiedlich lang dauern wird. Eine der ersten Fragen, mit der man sich da auseinandersetzt ist die Frage „Wann ist das alles wieder vorbei?“ „Wann kommt die Erleichterung?“
Währenddessen musste ich an ein göttliches Versprechen aus dem Quran denken. Darin teilt Allah / Gott den Menschen folgendes mit: „Wahrlich, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung.“ Dieses göttliche Versprechen hat mir und wird hoffentlich auch Ihnen die Kraft geben an die Tage nach dem Schrecken zu denken und in diese Richtung hinzuarbeiten. Denn eins ist klar. Solche Angriffe haben das Ziel uns zu spalten, und diesen Erfolg werden wir den Extremisten nicht schenken. Wir haben gemeinsam schon den Weg aus schrecklichen Zeiten gefunden, das müssen wir erneut schaffen. Erleichterung werden wir nur gemeinsam finden. Möge Gott / Allah uns den Weg zu einer starken Gemeinschaft ebnen, die sich nicht entzweien lässt und gestärkt aus solchen Prüfungen hervorgeht.
Džemal Šibljaković, Islamischer Seelsorger
„…um den Frieden der ganzen Welt…“
Die Existenz der orthodoxen Christen in Österreich geht auf eine 300 Jahre andauernde Realität zurück. Wir freuen uns und sind darüber sehr dankbar, dass heute bereits über 500.000 orthodoxe Christen als integrierender Bestandteil dieser Republik leben dürfen. Die orthodoxen Christen beten in allen Gottesdiensten „um den Frieden der ganzen Welt...“. Der Frieden stellte die conditio sine qua non für das soziale Leben dar. Jesus Christus hat uns offenbart, dass wir Menschen Kinder unseres Vaters im Himmel werden können, „denn Er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und Er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,45). Wir sollen beten, dass es keinen Hass gibt und unsere Herzen von Nächstenliebe, Frieden und Freude im Heiligen Geist erfüllt werden.
In einer Erklärung der Synode von Kreta 2016 steht: „Die Orthodoxe Kirche bekennt, dass jeder Mensch unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, Nationalität oder Sprache nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist und gleiche Rechte in der Gesellschaft genießt.“ Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat vor sieben Jahren in Graz erklärt: „Die harmonische und friedliche Koexistenz aller Menschen muss zu den Hauptaufgaben nicht nur des Staates und einer Stadt, sondern auch unserer christlichen Kirchen, aller Religionen und aller Menschen guten Willens gehören“.
Wir sollen mit solidarischer Verantwortung agieren, als Bestandteile der österreichischen Gesellschaft, insbesondere in diesen Zeiten, einen wesentlichen Beitrag für den sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.
Erzpriester Nicolae DURA, Bischofsvikar der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Österreich
„Reichen wir uns die Hand“
Die Geschichte sollte uns lehren...
Die Geschichte sollte uns Vorbild sein...
Heute stehen wir hier gemeinsam und gedenken der Novemberpogrome und möchten unsere Anteilnahme bekunden.
Dieses Ereignis darf nicht vergessen werden, wir verneigen uns vor den Toten und möchten als Aleviten in der Diaspora lebend sagen: Nur ein respektvolles Miteinander und die Liebe zu allen Menschen ermöglicht uns ein friedliches Leben in der Zukunft. Jede Religion, jede Sprache, jede Nationalität muss sich gegenseitig achten, um so ein Leben ohne Hass zu ermöglichen. Dies liegt in unserer Hand.
Reichen wir uns die Hand, denn in harten Zeiten erkennst du wer dein wahrer Freund ist, wer nicht.
Denn meine Kaabe ist der Mensch. (Hadschi Bektas Veli)
Hatice Ilter, Aleviten
„Achtsamkeit, Gerechtigkeit und Frieden“
Aus einigen Gesprächen mit Zeitzeugen sind mir die Ereignisse der Novemberpogrome bekannt - die traumatischen Erfahrungen sind erschütternd. Was Menschen einander antun können und wozu lang geschürter Hass fähig ist, darf nicht vergessen werden. Beten wir für den Erhalt eines guten Miteinander und setzen uns ein für Achtsamkeit, Gerechtigkeit und Frieden, die Botschaft des Evangeliums ist deutlich und aktuell!
Heinz Lederleitner, Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs
„Radikale Nächstenliebe“
Dieses Jahr steht das Gedenken des Novemberpogroms unmittelbar nach dem Terroranschlag in der Innenstadt.
Beide Ereignisse haben etwas Gemeinsames, bei beiden wurde Geschäft mit Angst gemacht und diese Angst instrumentalisiert, um die Gesellschaft zu spalten.
Diese Strategie war im Jahr 1938 sehr erfolgreich. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt als VertreterInnen verschiedener Glaubensrichtungen gegen Angst, Gewalt, Hass und Spaltungen unsere Stimmen gemeinsam erheben.
Radikale Nächstenliebe als Haltung des Respekts und der Wertschätzung gegenüber jedem anderen Menschen ist die Lösung. Den Nächsten zu lieben bedeutet auch, seine religiösen Ansichten zu achten und wertzuschätzen. Mitten in der Angst höre ich das biblische Mutwort stärker denn je: „Fürchtet euch nicht!“
Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiter konsequent für wechselseitige Achtung und Toleranz zwischen den Religionen und Weltanschauungen eintreten.
Anna Kampl, Pfarrerin der evangelischen Glaubenskirche